Kurze Antwort: Nein. Lange Antwort: Man kann sich viele Elemente des Eiskunstlauf selber beibringen, aber das ist in den meisten Fällen eher mit Nachteilen als mit vielen Vorteilen verbunden.
Warum manche lieber autodidaktisch lernen
Leute, die Eiskunstlauf autodidaktisch lernen wollen, haben meistens eins der folgenden Probleme:
- kein Geld für Privatstunden
- keine Lust auf Gruppenunterricht im Verein
- keine Zeit am Vereinstraining teilzunehmen
- Unsicherheit, ob man zum Vereinstraining kommen soll
Unsicherheit = Unsinn
Das sind die Top 4, die ich immer wieder höre. Bei weitem das Häufigste ist „keine Zeit“ und die Unsicherheit, ob man im Verein überhaupt richtig ist. Viele wollen erst mal selbst ein bisschen fahren lernen, bevor sie im Verein aufkreuzen und sich „blamieren“. Dem möchte ich kurz etwas entgegensetzen: Glaub mir, du wirst sowieso bescheuert aussehen, auch wenn du schon allein geradeaus fahren gelernt hast, und es sich so anfühlt, als ob es nicht mehr absolut lächerlich aussieht. Es sieht garantiert trotzdem noch lächerlich genug aus.
Man muss einfach damit klar kommen, dass man etliche Monate lang dumm aussieht, während man eisläuft. Das ist normal. Je eher du das akzeptierst, und je weniger du auf die Meinung anderer gibst, desto schneller kannst du Fortschritte machen. Gilt für jeden Sport übrigens.
„Kein Geld“ ist kein Grund
Aber auch die anderen Gründe sind eigentlich nicht wirklich welche. „Kein Geld“ für was? 100-200€ Vereinsjahresbeitrag? Richtige Schlittschuhe kosten ja schon mehr. Dann sollte man vielleicht wirklich einen anderen Sport machen. Ich meine das auch absolut nicht zynisch, aber Eiskunstlauf ist nun mal ein teurer Sport. Und wer dann am Wichtigsten spart, den Schuhen und dem Training, sollte sich auch nicht beschweren, wenn er nach Jahren noch keine Fortschritte gemacht hat.
Das einzige, was ich wirklich nachvollziehen kann, ist das Zeitargument. Denn als arbeitender Mensch ist es echt schwer, Trainingszeiten zu finden, zu denen man weder auf sein Kind aufpassen, noch am Arbeitsplatz sein muss, noch völlig fertig von der Woche ist.
„Gruppenunterricht ist doof“
Auch den Punkt, dass man Gruppenunterricht nicht gerade liebt, kann ich gut nachvollziehen. Auch für mich ist es oft nichts, und ich mache es eher wegen der Routine mit, und um ein paar Basics zu üben, die ich sonst nicht regelmäßig in der Intensität machen würde. Aber die wirklichen Fortschritte mache ich im Privatunterricht, nicht in einer Gruppe mit unterschiedlichsten erwachsenen Kunstläufern, die eine Woche „Laufschule“ machen und in der nächsten Eistanz und dann die Woche drauf Sprünge, und wenn ein anderer Trainer da ist, müssen alle wieder einmal Hocke fahren ums Stadion…
Trotzdem habe ich auch da viel gelernt und wenn es eben mal keine Gruppe gibt, die zu mir passt, dann mache ich trotzdem mit, denn jeder Kilometer auf dem Eis bedeutet mehr Sicherheit und Selbstvertrauen. Allein der Vorteil ist den Vereinsbeitrag schon komplett wert. Natürlich wird trotzdem viel zu wenig für Erwachsene gemacht, obwohl jedes Jahr mehr anfangen wollen und der Sport längst eine Renaissance erleben könnte, wären viele Vereine in Deutschland nicht altbacken und versteift auf junge Sportler, denen sie aber zeitgleich auch keine wirklichen Möglichkeiten im Leistungssport bieten… Nach der Logik hat sich natürlich in 20 Jahren noch nichts getan.
Also ja, ich verstehe jeden, der so einen Verein als einzige Option hat und sich darüber ärgert und es deshalb auf eigene Faust versucht. Trotzdem hat es leider genug Nachteile, wenn man versucht sich Eiskunstlauf selber beizubringen.
Nachteile des autodidaktischen Lernens
Keinen Trainer zu haben heißt nicht korrigiert zu werden
Man kann also wochenlang an Fehlern arbeiten, nicht wissen, was man verkehrt macht und das kann echt frustrierend sein. Gerade am Anfang nimmt man das nicht mal so wahr und weiß gar nicht, wie langsam man voran kommt, nur weil man sich kein Training gönnt.
Verletzungsgefahr
Dadurch, dass Eislaufen (nicht Eiskunstlaufen) ja im Winter zumindest ziemlich massenzugänglich ist, kommen vermutlich mehr Leute auf die Idee, „es mal zu versuchen“ als in anderen Kunstsportarten wie Turnen oder Ballett. Für diese drei denkt man sofort an Kurse und Vereine. Vermutlich auch, weil die Ausrüstung dafür genauso wenig öffentlich zugänglich ist wie die Räumlichkeiten. Die meisten Leute haben keine Turnhalle oder einen Ballettsaal mit Stangen und Spiegel oder Turngeräte zu Hause. Im Eislauf gibt es aber öffentliche Stadien und irgendwie ist es Winterkultur.
Aber dabei vergisst man halt, dass Eiskunstlauf eine olympische Disziplin ist, mit komplexen Elementen, die auf eine vorgeschriebene Art und Weise ausgeführt werden müssen, und nicht „och, ich mach mal, wie’s mir gefällt“. – Es gibt „richtig“ und „falsch“. Und falsch wird auch nicht cool, nur weil man sich sagt „Ich will das aber so machen“, wie ein bockiges Kind. Das ist so albern, wie mit Leuten, die nicht malen können und dann zu ihrem hässlichen Bild sagen „Das ist aber ein Stilmittel, das soll so aussehen.“ Und wortwörtlich jeder, der es sieht, sieht, dass es „gewollt und nicht gekonnt“ und nicht umgekehrt ist. Falsch ist einfach nur falsch, sonst gar nichts. Und im Zweifelsfall tut man sich vor lauter Hochmut höchstens weh.
Das Blöde ist, dass man es am Anfang noch nicht so merkt, wenn man sich Sachen angewöhnt, die hinterher schädlich sein können und dann denkt, es läuft doch alles okay. Ein Beispiel ist, wenn man zu viel Rotation aufs Knie gibt, durch zu starkes erzwungenes Ausdrehen, wenn die Hüftflexibilität aber noch nicht da ist. Dann geht zB. die ganze Kraft aufs Knie und belastet dieses unnötig. Das sind Sachen, die ich aus der Anatomie weiß, aber wie viele Anfänger denken sich „Och, ich will Bewegung XY aber machen, es sieht cool aus.“ und tun sich damit langsam aber sicher weh?
Klar, gerade wenn man relativ fit ist, muss das kein großer Faktor sein. Aber im Großen und Ganzen denke ich, wird man im Verein doch systematischer und sicherer an den Eiskunstlauf herangeführt, als wenn man komplett allein lernt.
Langsamer Fortschritt
Zu guter Letzt wird man allein fast immer extrem langsamer als mit Trainer lernen. Gerade wenn man es mit Einzelunterricht oder kleiner Gruppe vergleicht. Man kann in wenigen Stunden mit Hilfe eines Trainers erreichen, was man selbst in Wochen nicht geschafft hat, wirklich wahr. Und mir ist es das einfach wert. Training ist absolutes Gold und man sollte jede Gelegenheit nutzen, die Meinung eines Profis abzugreifen. Noch dazu: Das Gelernte kann man dann ja absolut auch alleine weiter üben und vertiefen.
Vorteile und Möglichkeiten des autodidaktischen Lernens
Aber was, wenn man eben wirklich keine andere Möglichkeit hat und es trotzdem so gut wie möglich lernen will? WIe kann man sich Eiskunstlauf möglichst verletzungsfrei und schnell selber beibringen?
Mein teilautodidaktisches Lernmodell
Ich würde euch folgende Methode vorschlagen:
- gelegentlich Einzelunterricht nehmen (zB. 1-2× pro Monat)
- dazwischen selbständig üben
- Off-Ice Übungen zB. nach Buch (s.u.) oder YouTube/Online-Angebot
Damit deckt man schon total viel ab und kann zwischen den Trainerstunden machen was man will, bekommt aber trotzdem ab und zu Feedback. Meiner Meinung nach ist das das beste Modell für Leute, die mit Gruppenunterricht nicht gut klar kommen. Ich mache es im Prinzip genauso, mit dem einzigen Unterschied, dass ich zusätzlich noch…
- Eiskunstlaufcamps
- Gruppenunterricht im Verein
- Online Off-Ice Gruppentraining
- Yoga/Dehnen/Ballett
- spezielles Sprungtraining
…in Anspruch nehme. Das hat sich für mich so ergeben und ich plane das auch nicht wirklich, sondern wenn es sich halt ergibt, mache ich mit den jeweiligen Trainern mal einen Termin aus, und zwischendurch arbeite ich allein an meinen Skills.
Nicht jeder ist der geborene Autodidakt
Ich sollte aber vielleicht auch dazu sagen, dass ich jahrelange Erfahrung im Yoga habe und weiß, was man anatomisch nicht machen sollte. Ich habe auch im medizinischen Bereich gearbeitet, was für Vieles hilfreich ist, von „Schmerzen zuordnen“ bis „Verletzungen einschätzen und behandeln“ usw. Und ich bin auch allgemein eher der Typ Autodidakt. Ich habe so mehrere Sprachen gelernt, Programmieren, Nähen (ich näh auch meine Eislaufklamotten bzw. die meines Kindes) und vieles andere… Und trotzdem habe ich aber einen gewissen Respekt vor diesem Sport und möchte mir nicht anmaßen, dass ich alles selber lernen kann. Gerade weil ich eben so oft die Erfahrung gemacht habe, dass es einem richtig viel bringen kann, auch nur eine Stunde mit einem Top-Trainer zu bekommen. Danach fühlt man sich wie ausgewechselt! Wie gesagt, gutes Training steht über allem, über absolut allem, was man meint autodidaktisch reißen zu können. Denn du siehst dich nicht, während du fährst. Auch nicht, wenn du ein Video davon drehst. Du siehst es nicht, während du es machst und kannst dich nicht selbst zeitnah genug korrigieren. Wenn das ein Außenstehender tut, hat es einfach einen viel deutlicheren Effekt.
Ich sehe durchaus, was ich falsch mache, wenn ich hinterher ein Video von mir anschaue. Ich sehe es auch bei meinem Kind und kann ihr helfen, selbst wenn ich manche der Elemente, die sie lernt, noch lange nicht kann. Trotzdem sehe ich es, weil ich verstehe, was man tun soll. Aber bei mir selbst brauche ich dann ja auch jemanden, der mich sieht, sieht, was ich falsch mache, und es mir sagt, während ich es probiere, damit ich es gleich ändern kann und nicht erst drei Tage später per Trial-and-Error mit viel Probieren…
Geld und Zeit sparen mit Online-Training
Natürlich ist es auch billiger, sich Eiskunstlauf selber beizubringen. Eine Trainerstunde kostet in der Regel 50€ aufwärts, plus Eisgebühr. Aber für mich ist die Rechnung eher so: Ich habe Schlittschhe für über 500€. Die kosten also so viel wie 10 Stunden. Eher mehr sogar, da ich ja keine Einzelstunden nehmen muss (man kann es sich mit 1-2 anderen Leuten teilen und hat immer noch super viel Zeit mit dem Trainer auf diese Weise). Wenn ich nur zweimal im Monat so eine Stunde hätte, dann würde mich das also so viel wie meine Schlittschuhe kosten… in was…? Fast einem halben Jahr? Das ist doch nichts.
Man muss das meiner Meinung nach wirklich in Relation sehen. Aber sagen wir, du möchtest maximal sparen, dann wäre es immer noch eine Möglichkeit, Off-Ice Training online zu buchen oder auch Videos von deinen Übungsstunden zu machen und einem Trainer zu schicken und dir Tipps geben zu lassen bzw. an deinen Problemen dann off-ice zu arbeiten. So eine Stunde ist günstiger als Training vor Ort und es gibt mittlerweile viele, die das anbieten, zB. IceCoachOnline, VO:ICE oder VSA FigureSkating.
Gerade unter dem Aspekt von „Ich habe nie Zeit, wenn Vereinstraining ist“ sollte man sich überlegen, ob das nicht eine Möglichkeit ist, denn damit kann man nicht nur zu günstigen Zeiten trainieren, sondern auch komfortabel von zu Hause aus, und man spart insgesamt Zeit, weil man auch hier natürlich wieder schneller vorankommt als alleine.
Kann man sich Eiskunstlauf also doch selber beibringen?
Abschließend: Jein. Es geht schon, selber üben ist immer wichtig. Auch im Verein oder 1:1-Training wird ja nicht jede Bewegung immerzu kuratiert und kontrolliert. Manchmal dreht man einfach seine Runden (wobei 1:1 schon sehr sehr viel geht natürlich). Aber:
- wenn man mit etwas nicht weiterkommt,
- wenn man technisch nicht sicher ist, was richtig ist
- wenn man nur langsam Fortschritte macht
- wenn man unmotiviert ist
hilft ein Trainer. Und außerdem macht es auch mehr Spaß. Du bekommst Feedback, wirst an deine Grenzen gebracht, musst dich extrem anstrengen und bist gezwungen sauber zu fahren. Nichts kann das ersetzen.
Es kommt also letztlich drauf an, was man will. Für Wettbewerbe, Prüfungen und wirklich schnelle Fortschritte braucht man entweder krasses Talent, Glück und viel Zeit oder einen Trainer. Für Spaß, vergleichsweise langsame Fortschritte und um einfach mehr Bewegung zu haben, ist es nicht so wichtig. Trotzdem sollte man sich aber überlegen, ob man es sich im Zweifelsfall lohnt, falsche bis gefährliche Bewegungsabläufe zu lernen, und wie weit man in dem Sport kommen will.